Aufruf

Zeit zu Denken

(Selbst-)kritischer Antifa-Kongress in Erfurt

10.-11. Oktober 2025

Es ist „Zeit zu Denken“

In der Benennung der aktuellen Probleme sind sich die meisten Antifaschist*innen einig: Klimawandel, Rassismus, zunehmende staatliche Repression, rechter Terror und Autoritarismus.

Während das die Probleme sind, führt die Öffentlichkeit unablässig „Migrationsdebatten“. Das Asylrecht wird immer weiter eingeschränkt und staatlicherseits kaum verdeckt alles gefördert, was irgendwie weniger Migration verspricht, seien es Zäune, Diktatoren, nordafrikanische Militärs und Bandenstrukturen oder eine europäische Grenzschutzagentur. Die Gewalt wird an die europäischen Außengrenzen in Form von gewaltsamer Abschottung um jeden Preis verlagert. Gleichzeitig wird den Geflüchteten, die den tödlichen Weg nach Europa überlebt haben, das Leben Schritt für Schritt verschlechtert und die Schikanen werden ausgebaut.

Der Sozialstaat wird unter dem Trommelfeuer von deutscher Arbeitsmoral, Sozialchauvinismus und dem Prinzip „nach oben buckeln, nach unten treten“ attackiert. Statt greifbaren Verbesserungen hat diese Gesellschaft nur noch den Lustgewinn zur Befriedigung autoritärer Bedürfnisse anzubieten. Wenn es mir selbst schon nicht besser geht, soll es wenigstens denen, die unter mir stehen, schlechter gehen – und dieses Angebot trifft auf eine große Nachfrage. Die Beschreibung dessen als „Rechtsruck“ mag diese Phänomene zusammenfassen, aber man kann das Wort kaum noch ertragen, so oft hört man es in den letzten Jahren. So unkonkret wie dieser Begriff ist, so begriffslos und ohnmächtig ist die Linke.

Im Rekordtempo werden vermeintlich linke Selbstverständlichkeiten abgeräumt und was zumindest gestern noch umkämpft schien, ist heute schon fast widerstandslos aufgegeben: 100 Mrd. für die Bundeswehr – Hurra! BürgerHartz ist unmenschlich, recht so! Migration bedroht eigentlich alles und die deutsche „Kultur“ muss vor Migrant*innen geschützt werden – weitgehend Konsens. Klimawandel nicht so wichtig – auf jeden. 

Das zeigt nicht nur die Schwäche der radikalen Linken, sondern auch der mehr oder weniger linken Parteien. Positionen, die jahrelang umkämpft wurden, werden auf der Suche nach Wiedergewinnung der Wählergunst und in der zunehmend autoritären Krisenverwaltung teilweise in Tagen wieder abgeräumt. Linke Parteien tragen den Abbau des Sozialstaates mit, wo sie ihn nicht gleich selbst mit vorantreiben. Und auch die radikale Linke macht diesen Schwenk zu Teilen bereitwillig mit oder hat diesem nichts entgegenzusetzen. Es ist auch in der radikalen Linken kein Konsens, dass Autoritarismus und Führerkult mit wahrhaft menschlicher Gesellschaft nichts zu tun haben, dass kein Mensch dem anderen nur Mittel sein sollte, dass es auf die Entfaltung aller und nicht auf eine vermeintlich schlagkräftige Organisation ankommt, in der die Einzelnen nur Rädchen im Getriebe sind, dass auch linke Parteien an die parlamentarische Demokratie und diese an die kapitalistische Ausbeutung gebunden sind und daher kein Mittel zu einer befreiten Gesellschaft sein werden, dass der angebliche Staatssozialismus keiner war. Auch die Linke war nie vor einem autoritären Schwenk gefeit. Die vergangenen Krisen zeigen, dass auch hier vermehrt stärker gelenkte und autoritäre Organisationsformen eine große Anziehungskraft ausüben. Die einen finden Thälmann plötzlich wieder ganz spannend, begeistern sich für die von oben nach unten organisierten Parteien der alten Arbeiter*innenbewegung, wollen die DDR zurück oder jubeln China oder Russland zu. Die anderen wollen jetzt doch irgendwie in den schwächelnden Parteien mitmischen oder gleich neue gründen. Auch auf die Linke trifft offenbar zu, was Fritz Bauer über Deutschland sagte: „Ich glaube, es ist eine traurige Wahrheit, dass wir unserem Affenzustand noch sehr nahe sind und dass die Zivilisation nur eine sehr dünne Decke ist, die sehr schnell abblättert.“

Mit anderen Worten: Die Lage ist so schlimm wie lange nicht mehr und die gesamte Linke ist zugleich schwächer denn je. Doch wie umgehen mit dieser Schwäche?

Wir sind Teil der außerparlamentarischen Linken, die am Ziel der allgemein menschlichen Emanzipation festhalten, auch wenn die Zeichen dafür gerade schlecht stehen. Und wir sind dagegen, dem Beispiel der „linken“ Parteien zu folgen, um in der vermeintlichen Mitte Anschluss zu finden. Wir wollen gemeinsam bei dem Versuch vorankommen, zu verstehen, was die derzeitige Situation auszeichnet, wie wir in diese Lage gekommen sind und wie wir aus ihr wieder herauskommen können. Wir haben keine Lust auf verzweifelte Appelle zum Handeln, die unter dem Druck aktueller Ereignisse zu kopflosem Aktivismus aufrufen. Ganz im Gegenteil: Wir wollen uns die Zeit und Ruhe zum Nachdenken nicht nehmen lassen, sondern gemeinsam aus der Kopf- und Ratlosigkeit wieder herauskommen.

Save the Date

Dafür rufen wir dazu auf, am 10. und 11. Oktober 2025 nach Erfurt zu kommen. Unter dem Motto „Zeit zu Denken“ wollen wir den mittelfristigen Fragen der aktuellen gesellschaftlichen Situation nachgehen. Dann liegen die Landtagswahlen im Osten schon ein Jahr zurück und bisher ist die – teilweise angstvoll befürchtete, teilweise fast schon lustvoll herbeigesehnte – Apokalypse ausgeblieben. Vielleicht kein schlechter Zeitpunkt, einmal innezuhalten und sich ein paar Gedanken zu machen.

Wir wollen ergründen, wie es zum „Rechtsruck“ kommt, was mit dem oft bemühten Wort „Autoritarismus“ eigentlich gemeint ist und was wir aus den Faschismustheorien des letzten Jahrhunderts für heute lernen können. Wir wollen verstehen, warum die kapitalistische Ökonomie und die neoliberale Demokratie immer wieder auf autoritäre Krisenlösungen zurückgreifen (müssen) und warum der Kapitalismus und die Demokratie wieder in den Faschismus umkippen können. Was macht diesen so attraktiv und verheißungsvoll und woher kommt das seit Jahrzehnten stabile faschistisch-autoritäre Potenzial, das mit der AfD nun einen politischen Ausdruck gefunden hat? Wir wollen uns aber auch mit unserer eigenen widersprüchlichen Stellung zum demokratischen Staat, seinen vielfältigen Vorfeldorganisationen und der mal mehr mal weniger stark staatlich beeinflussten und geförderten „Zivilgesellschaft“ beschäftigen. Einerseits wird dieser Staat und seine Demokratie von der Linken gegen die Gefahr von rechts verteidigt, anderseits will sie diese Verhältnisse überwinden. Es ist wichtig zu verstehen, wie selbst radikale Linke häufig früher oder später zu Verteidigern des Status Quo werden und in welchem Umfang auch die radikale Linke tatsächlich Hand in Hand mit gemäßigten Linken und staatlichen Stellen an der Stabilisierung der gesellschaftlichen Verhältnisse mitwirkt. Sei es über politische Protektion, durch Kontakte in Parteien, sei es über Demokratieförderprojekte und -stellen, über Rechtsextremismus-Monitoring und so weiter. Noch widersprüchlicher wird es, wenn man bedenkt, dass der Staat und seine Repressionsorgane die radikale Linke immer mehr drangsaliert und bespitzelt. Was Rosa Luxemburg mitten im 1. Weltkrieg an die Arbeiter*innenbewegung adressierte, muss auch für uns heute gelten: Dass nämlich Selbstkritik, rücksichtslose, grausame, bis auf den Grund der Dinge gehende Selbstkritik, Lebensluft und Lebenslicht der Bewegung ist – und nicht falsch verstandene Einheit aller irgendwie Linken.

Wir wollen nicht zwischen den beiden schlechten Optionen „linksradikale Sektiererei“ und „Aufstand der Anständigen“ zerrieben werden. Wie können wir stattdessen wirksam die gesellschaftlichen Grundlagen von Rassismus, Sexismus, Antisemitismus und Rechtsradikalismus benennen und kritisieren?

Wie kann antifaschistische Arbeit unter den immer schwerer werdenden Bedingungen praktisch aussehen und funktionieren? Und nicht zuletzt: Wie können wir bei uns selbst verhindern, dass die eigene Kritik zur „sehr dünnen Decke“ wird, „die sehr schnell abblättert“?

Lasst uns gemeinsam am 10. und 11. Oktober 2025 in Erfurt zusammenkommen, analysieren und diskutieren. Es ist Zeit zu denken!

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